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Auf der Suche nach der Vergangenheit in Wilcos A.M.

Am November 2, 2015

Eine gewisse Mythologie umgibt Wilco heutzutage. Sie sind bekannt als die Chicagoer Band, die Indie-Musik populär gemacht hat. Im gleichen Jahr, in dem sie ihr kommerziell erfolgreichstes und von der Kritik hochgelobtes Album Yankee Hotel Foxtrot veröffentlichten, wurde ein umstrittener Dokumentarfilm über sie gedreht. Sie haben sogar ihr eigenes Musikfestival, Solid Sound, ins Leben gerufen. Bandleader Jeff Tweedy selbst ist mittlerweile gleichbedeutend mit "Dad Rock", sowohl in Bezug auf die Richtung, in die sich die neuesten Alben von Wilco entwickelt haben, als auch weil er tatsächlich ein Album mit seinem Sohn Spencer unter der treffend, wenn auch offensichtlich gewählten, Gruppe Tweedy geschrieben und aufgenommen hat.

Bevor Wilco jedoch zum Leuchtturm der bleibenden alternativen Musik wurde, gab es A.M., veröffentlicht von Sire/Reprise im Jahr 1995. Die Debütsingle „Box Full Of Letters“ eröffnete das Album mit ihrem rockigen Sound, der eine Trennung kaschiert. Später folgt „Casino Queen“, das nun als fester Bestandteil bei Wilco-Shows gilt und ein Geigensolo enthält, das der derzeitige Gitarrist Nels Cline heute absolut grandios spielt.

Doch A.M. erhielt bei seiner Veröffentlichung mittelmäßige Kritiken und Verkaufszahlen. Tatsächlich kam die LP aus umstrittenen Wurzeln. Tweedy trat ursprünglich mit dem Sänger/Songwriter Jay Farrar in der Alt-Country-Gruppe Uncle Tupelo auf, bevor er Wilco gründete. Die beiden jungen Musiker trafen sich 1981 im Englischunterricht an der Belleville West High School. Zusammen mit dem Schlagzeuger Mike Heidorn veröffentlichte das Trio 1990 ihr Debüt No Depression. Benannt nach einem Lied der Carter Family, vereint die Platte auf skurrile Weise traditionelle Folklore, Punk-Tempi, Harmonien und Kuhglocken. Auch sie hat sich zu einer Erbe-Platte entwickelt.

Farrar war tatsächlich der Hauptsongwriter bei Uncle Tupelo, sodass viele Fans nach der Trennung 1994 gespannt auf Farrars neues Projekt Son Volt warteten. A.M., das nur kurz vor dem vielbevorzugten Debüt von Son Volt Trace veröffentlicht wurde, galt allgemein als Tweedys Version der Fortsetzung von Uncle Tupelo. In Wahrheit stellte es den Wettbewerb zwischen Tweedy und Farrar dar.

Wenn man heute A.M. hört, wird man tatsächlich mit all diesen Einflüssen konfrontiert. Es erscheint seltsam, dass es im gleichen Jahr wie Pavements Wowee Zowee, Sleater-Kinneys Debüt oder sogar Elliott Smiths selbstbetiteltes LP herauskam. Diese Alben spiegeln besonders wider, was um diese Künstler herum geschah – die Popularisierung des Grunge, den Beginn von Riot Grrrl und die Anfänge von Emo-Folk. Aber A.M. ist auch nicht wirklich Alternative Rock. Es passt nicht genau in die Kategorien, die wir heute mit den Führern des Genres wie R.E.M. (College Rock), Radiohead (experimentell), Blur (Britpop) und anderen assoziieren.

Vielmehr scheint A.M. so sehr in die Vergangenheit zu blicken, wie es die Zukunft von Wilco vorwegnimmt. Selbst die Hommage an das Top 40-Radio im Titel und auf dem Albumcover zieht den Blick auf die eigene Geschichte. Von Uncle Tupelo leiht sich Wilco die Bezeichnung des Alt-Country-Genres. Pedal-Steel-Gitarren und traditionelle Bluegrass-Instrumentierungen mischen sich mit dem typischen Setup einer Rockband aus Gitarre, Schlagzeug und Bass. Stücke wie das zwitschernde „Pick Up The Change“ und das Banjo-Hoedown „That’s Not The Issue“ betonen diese ländlichen Wurzeln. Zu jener Zeit verglich Rolling Stone sogar A.M. mit Folk-Rock-Ikonen der 60er Jahre wie Gram Parsons und Neil Young. Und wenn man noch weiter zurückblickt, sind Einflüsse von Uncle Tupelo wie der Grand Ole Opry-Stammgast Hank Williams in Balladen wie „It’s Just That Simple“ zu hören. Der Song, das einzige Wilco-Lied von Bassist/Multi-Instrumentalist John Stirratt, verfolgt das Herzleid und die Traurigkeit der Pedalsteel in tiefen Cuts wie „I Can’t Help It (If I’m Still In Love With You).“

Doch im Kontext von Wilcos inzwischen neun Alben umfassender Diskografie ist A.M. der logisch präzise Anfang. Der Fokus auf Tweedys heiseren, von Alkohol und Cannabis gezeichneten Vocals ist selbstverständlich ein Höhepunkt des Sounds der Band. Und die Experimentierfreudigkeit der Band, diese Einflüsse überhaupt zu vermischen, scheint vorherzusagen, wie Wilco vom ambitionierten Doppel-LP wie Being There zu Woody Guthrie-Coverversionen mit Billy Bragg in den Sitzungen zu Mermaid Avenue oder von bluesrockigen Noodlern auf dem unterbewerteten Sky Blue Sky bis hin zu wohlwollenden Branchenführern übergehen könnte, die das System durch die nächtliche Veröffentlichung neuer Alben wie Star Wars für umsonst unterlaufen. A.M. begann die Mythologie der Band, doch wie die meisten Geschichten der Folklore reichen ihre Wurzeln noch viel tiefer.

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